Neu erschienen: Artikel in „OrganisationsEntwicklung“
Als frisch angestellter Junior-Berater für Organisationsentwicklung in der Schweizerischen Kreditanstalt schickte mich mein Chef 1989 in die achtwöchige «OE-Werkstatt» von Friedrich Glasl in Salzburg. Dort wurde ich in die ersten Theorien über OE eingeweiht. Diese haben mich bis heute in meinem (Berufs-)Leben begleitet.
Die wichtigste Theorie, die ich lernte und die mein ganzes Berufsleben als OE-Berater bis heute prägt, ist der Grundsatz: Betroffene zu Beteiligten machen. Die Hypothese (das Beschreibungs- und Erklärungsmodell der Theorie) ist, dass alles Wissen, das für den nächsten Entwicklungsschritt gebraucht wird, im System vorhanden ist. Als Handlungsempfehlung folgt daraus, dass es die Aufgabe eines OE-Beraters ist, Räume zu schaffen, in denen dieses z. T. vorbewusste Wissen explizit und individuelles, verteiltes Wissen zu kollektivem Wissen wird. Seit 28 Jahren bestätigt sich diese Theorie in meiner Arbeit: Einerseits entstehen intelligente Lösungen durch den Einbezug der Betroffenen, denn sie sind die besten Experten ihres Systems und andererseits sind die Lösungen nachhaltig, weil durch den Einbezug der Betroffenen hohes Commitment und Engagement für die Umsetzung entstehen.
Von Irving Borwick lernte ich die zweite, meine Arbeit nachhaltig prägende Theorie, die «Systemische» Beratung. Deren Handlungsanweisung ist: Ändere nicht die Menschen, sondern das System, d. h. die Rollen, Regeln und Beziehungen. Die Hypothese ist, salopp gesagt: Organisationen sind wie Theaterbühnen, auf denen Menschen gegen Bezahlung eine (oder mehrere) Rollen energetisieren. Die Aufgabe der OE ist, das Spiel zu verändern. Welches Spiel wollen wir spielen? Woran haben unsere Zuschauer (Kunden) Freude? Welche Rollen braucht es für dieses Spiel, welche Beziehungen, welche Prinzipien, welche Spielregeln, welchen Spirit, welche Kulissen?
Diese Theorie hat mir in allen Change-Projekten, und insbesondere bei Unternehmenskulturwandel enorm geholfen. Denn es ist viel einfacher, Rollen, Regeln und Beziehungen zu verändern, als Menschen.
Später lernte ich weitere hilfreiche Theorien kennen, die einen engen Bezug zum systemischen Ansatz (und zum Konstruktivismus, siehe weiter unten) haben, insbesondere die «Systemische Strukturaufstellung» von Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer und «Big Mind – Big Heart» von Dennis Merzel.
Die Systemische Strukturaufstellung erweist sich in der OE-Beratung immer dann als besonders hilfreich, wenn Lösungen nicht offensichtlich sind. Unsichtbare Abhängigkeiten, unterschwellige Beziehungsmuster, dysfunktionale Übernahme von verdeckten Rollen und Glaubenssätzen können gelöst und abgespaltene Anteile integriert werden. In der Aufstellung werden die Systemelemente durch Repräsentanten im Raum aufgestellt, wodurch die Struktur sichtbar wird. Durch Umstellung und kurze Rituale (insbesondere dem Trennen von dysfunktionalen und Verbinden von funktionalen Beziehungen) entsteht das Lösungsbild, und dies oft in einer atemberaubenden Geschwindigkeit.
Im Big Mind – Big Heart Prozess geschieht etwas Ähnliches, nur dass die einzelnen Systemelemente nicht aufgestellt werden, sondern eine Stimme erhalten, mit der sie ihre Funktion und Bedürfnisse im System ausdrücken. Die Theorie postuliert, dass wir Menschen ein Modell unseres Umgebungssystems in unserem Bewusstsein mit «Repräsentanten» abbilden, welche als teilautonome Agenten unsere Wirklichkeit laufend ko-konstruieren, ähnlich wie die Schauspieler in einem Film. Big Mind – Big Heart holt diese Agenten ins Bewusstsein, gibt ihnen eine Stimme und rekonstruiert mit ihnen gemeinsam die Realität. Big Mind – Big Heart kann auch im Team angewendet werden, ist aber besonders Einzelcoaching und in der in der Selbstführung sehr effektiv.
Die meine Arbeit bis heute entscheidend prägende dritte Theorie ist die Ressourcen- und Lösungsorientierung. Ich erlernte sie im Rahmen des hypnotherapeutischen Beratungsansatzes von Gunther Schmid vom Milton-Erickson-Institut in Heidelberg. Rückblickend interessant ist, dass ich sie eng verweben konnte mit einer Theorie, die ich schon während dem Studium an der Uni kennenlernte, aber nie richtig anwenden konnte: dem Konstruktivismus.
Die Theorie des radikalen Konstruktivismus besagt, dass unsere Realität – und somit auch all unsere Probleme – eine Konstruktion unseres Nervensystems ist, und damit immer auch anders konstruiert werden kann. Da unser Nervensystem operationell geschlossen ist (Maturana/Valera), gibt es keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit „da draußen“, ausserhalb unseres Hirns. Wenn wir uns damit von der Vorstellung einer absoluten Wahrheit und empirischen Objektivität verabschieden, weil der Beobachter nicht als unabhängig von der Erkenntnis angesehen werden kann, ist die Frage, ob etwas stimmt oder nicht, irrelevant. Die relevante Frage ist dann einzig: Ist die Art, wie wir Realität konstruieren, bzw. welche Theorie, welches Modell wir von der Wirklichkeit haben, sinnvoll, nützlich und zieldienlich? Folgen wir dem radikalen Konstruktivismus, sind die Beschreibungs- und Erklärungsmodelle der Welt „da draußen“, die Theorie, spielentscheidend für unser Leben, denn das, was wir als Wirklichkeit konstruieren, ist unser Leben.
Die Theorie der Ressourcen- und Lösungsorientierung postuliert, dass es wenig Sinn macht, die Ursachen eines Problems zu analysieren, da wie schon Einstein sagte, die Lösung eines Problems auf einer höheren Bewusstseinsebene entsteht, als auf jener, auf der das Problem entstanden ist. Die Anwendung dieser Theorie in meiner Beratungspraxis hat die Change Projekte massiv verkürzt und die Change Arbeit ist viel lustvoller geworden: keine nervtötenden Analysen mehr, kein „paralysing analysing“ (sorry, Fritz Glasl, den OE-Grundsatz „Keine Maßnahme ohne Diagnose“ hab ich über Bord gekippt), keine zermürbenden Konflikte zur Frage „Wer hat recht?“, keine Schuldfragen und Schuldzuweisungen mehr. Im Zentrum der Beratung steht nun einzig die Frage: Wie erschaffen wir mit unseren verfügbaren Ressourcen eine zieldienliche, nützliche, sinnvolle gemeinsame Realität? Und das macht richtig Spaß.
Eine radikal lösungsorientierte Methode, die ich sehr oft verwende, ist die berühmte «Wunderfrage» von Steve de Shazer: „Angenommen, ein Wunder passiert über Nacht und löst all eure Probleme, aber ihr schlaft tief und fest und merkt nicht, dass das Wunder passiert ist, und steht am nächsten Morgen ganz normal auf: Woran erkennt Ihr im Alltag, dass das Wunder geschehen ist? Woran erkennen es eure Stakeholder?“. Im ganzen Prozess der Lösungsfindung wird kein einziges Mal das Problem adressiert, sondern einzig das Lösungsbild, den Weg dahin (insbesondere der nächste konkrete Schritt) und die dafür zur Verfügung stehenden Ressourcen.
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