Wie werden Entscheidungen gefällt in Firmen mit hohem Selbstorganisationsgrad?
Diese Frage stand im Zentrum unseres Juli-Treffens von NexTchange, der Austauschplattform für Firmen der nächsten Generation Organisation.
“Es kommt drauf an”, war die zentrale Erkenntnis nach einem halben Tag intensiven Austauschs.
Je nach Einsatzgebiet kommen folgende Entscheidungsmethoden zum Einsatz:
Methode | Beschreibung | Vorteile | Nachteile, Risiken | Einsatzgebiet | Achten auf |
Autarke Entscheidung | Eine Rolle entscheidet |
schnell, veränderungs-, innovations-, risikofreundlich |
Übersehen von wichtigen Fakten. Widerstand bei Betroffenen, wenn deren Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden; kann zu Passivität, Dis-Identifikation und passiven Widerstand bei den Betroffenen führen. | Für Routineentscheidungen, Entscheidungen unter Zeitdruck, reversible Entscheidungen, Entscheidungen mit begrenzter Tragweite und Komplexität | Akzeptanz der Lösung bei den Betroffenen, Berücksichtigung aller notwendigen Informationen. |
Autarke Entscheidung mit Beratungsprozess bzw. Vernehmlassung | Eine Rolle entscheidet nachdem Betroffene und Experten befragt wurden | Viele Perspektiven fliessen in die Lösung ein, führt zu qualitativ guten Lösungen, flexibel, da Anzahl Befragungen in Abhängigkeit der Tragweite möglich, veränderungs-, innovations-, risikofreundlich | Politisierung. Lobbyismus. Intransparenz. | Kann sehr breit eingesetzt werden, sowohl für einfache als auch für komplexe Entscheidungen, mit kleiner oder grosser Tragweite, für reversible als auch für irreversible Entscheidungen | Nicht nur “Freunde” befragen. Wenn Rat nicht berücksichtigt, gut begründen warum |
Konsent Entscheidung | Lösungsvorschlag wird Experten und Direktbetroffenen vorgelegt und optimiert, bis keine schwerwiegenden Einwände mehr vorliegen | Führt schnell zu “gut-genug” Lösungen, fördert offenen Diskurs, Entscheidung wird gut mitgetragen | Anspruchsvoll, setzt hohes Bewusstsein (“ego-freier Raum”, Ausrichtung am übergeordneten Ganzen) voraus. Frustpotenzial hoch, wenn nicht richtig moderiert, kann veränderungs- und risikoavers wirken wenn einseitig auf Einwände fokussiert. | Für schnelle Entscheidungen mit grosser Tragweite bzw. irreversible oder nur schwierig zu korrigierende Entscheidungen. Speziell gut geeignet bei hohem Bedarf an Akzeptanz der Entscheidung und hohem Commitment für die Umsetzung. | gute Moderation, gute Verständnis, was ein gültiger Einwand ist, richtige Auswahl der Direktbetroffenen und Experten |
Systemisches Konsensieren | Variante mit geringstem Widerstandswert ist gewählt | Schnell, Entscheidung wird gut mitgetragen | Wenn zu früh eingesetzt (noch keine ausgereiften Lösungsvorschläge) kann es zu risikobehafteten und frustrierenden Entscheidungen führen. Bewertungsprozess aufwändig. | Bei Patt-Situationen und gleichzeitig hohem Bedarf an Commitment für die Entscheidung. | Sicherstellen, dass ausgereifte Lösungen vorliegen. Gute Moderation. IT-Tools zur Bewertung |
Mehrheit entscheidet | Mehrheits-abstimmung bei den Betroffenen | schneller, transparenter, einfacher Prozess, wird als fair und nachvollziehbar wahrgenommen | Diktatur/Tyrannei der Mehrheit, “Vergewaltigung” von Minderheiten. Anfällig auf Meinungsmache und Bildung trennender Cliquen. Verlierer tragen den Entscheid nicht mit (“ich hab ja dagegen gestimmt”) | Wenn Einbezug der Betroffenen und Einfachheit des Entscheidungsprozesses wichtig ist. Für Wahl von Repräsentanten / Delegierten. Als Back-up Lösung, wenn andere Entscheidungsverfahren nicht zu Erfolg führen. | Neutrale, gute Information der Abstimmenden |
2/3 Mehrheit | Mehrheitsabstimmung bei Betroffenen, wobei 2/3 der Stimmenden dafür sein müssen | Hohe Akzeptanz | Veränderungsavers | Bei fundamentalem Richtungswechsel (z.B. Statutenänderungen). Als letzte Alternative, wenn alle anderen Verfahren scheitern. | Neutrale, gute Information der Abstimmenden |
Delegation | Entscheid wird an eine (Dritt-) Rolle delegiert |
Schnell Entlastend |
übersehen von wichtigen Fakten | Routine Entscheidungen mit geringer Tragweite. Konflikt-Lösung (Richter) | Fachkompetenz und neutrales, repräsentierendes Denken der delegierten Person |
Stochastisch | Nach Zufallsprinzip (würfeln, Los ziehen, Münze werfen, …) | Schnell und gut akzeptiert, wenn alle Optionen gleichwertig sind | Gefährlich, wenn die Optionen nicht wirklich gleichwertig sind. | Schnelle, neutrale, unpolitische Auswahl |
Weitere Methoden zur Entscheidungsfindung, die besonders bei fachlich-inhaltlichen Fragestellungen zum Einsatz kommen
- Paarweiser Vergleich: Einfache Methode zur Priorisierung von Elementen
- ABC-Analyse: einfache Methode zur Priorisierung von Elementen nach drei Kategorien
- Entscheidungsrisiko-Analyse: Methode zur Bewertung der negativen Auswirkungen von Entscheidungsoptionen.
- Entscheidungsbaum: Aufwendige Methode für komplexe Entscheidungsvorgänge
- Kraftfeldanalyse: Ergänzende Methode zur Identifikation und Analyse unterstützender und bremsender Einflussfaktoren.
- Priorisieren durch Punkte vergeben, durch in eine Reihenfolge bringen, durch Prozentsätze verteilen (> mentimeter.com)
- Aufstellungen: Tetralemma-Aufstellung, soziometrische Aufstellung, Struktur-Aufstellung
- Partnerschaftliches Verhandeln nach der Harvard-Methode: Methode zur konstruktiven Lösung von Interessenskonflikten mit möglichst hohem Nutzen für alle Parteien (Interessen vor Positionen, Trennen von Sache und Beziehung).
- FORDEC: Methode zur schnellen Entscheidung in Teams bei kritischen Situationen (aus der Luftfahrt: Facts, Options, Risks & Benefits – Decision, Execution, Check)
- Pugh-Matrix: Methode zum Vergleich mehrerer Lösungen nach Stärken und Schwächen sowie zur iterativen Ausarbeitung eines optimalen Lösungskonzepts.
Wir waren uns einig, dass wir dieses wichtige Thema in unserem nächsten Treffen weiter vertiefen, insbesondere unter dem Blickwinkel der Ressourcen-Verteilung unter Nicht-Vorhersehbarkeit (z.B. Umgang mit Budgets), unter Zeitdruck und verteilten, dezentralen Entscheidungen mit grossen Auswirkungen auf die Gesamtorganisation.
Hinweis: Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in einer “Next Generation Organisation” arbeiten und an der Austauschplattform NexTchange interessiert sind, können Sie sich gerne bei mir melden. Wir freuen uns auf Sie!
17. Juli 2020, Ralph Höfliger